Die Wiedergeburt von Omega
Chapter 834: Der Letzte von ihnen (Kap.835)
CHAPTER 834: DER LETZTE VON IHNEN (KAP.835)
Das dunkle Miasma lauerte tief unten, begierig darauf, bei jedem Anzeichen von Leben darüber aufzusteigen. Wie Jian und Verothrax den Canyon sicher überqueren könnten, ohne das Miasma auszulösen, war sich Neveah nicht sicher. Aber es war ein Risiko, das sie mit Kaideon nicht eingehen konnte und wollte.
Das Herbeirufen eines Sprungportals kam ihr natürlich vor. In ihrem Geiste wollte sie sich den letzten bekannten Endpunkt des Canyons vorstellen, doch die Ungewissheit dieses Ziels war ein Risiko für sich. Daher tat sie das Letzte, was sie je für möglich gehalten hätte: Sie stellte sich das einzige Ziel vor, von dem sie sicher war, dass es vom Bruch noch nicht erreicht worden war. Der Ort malte sich lebhaft in ihrem Geist, ein Geflecht aus Dunkelheit, Düsterheit und aschgrauer Verwüstung.
Ein Ort, von dem sie nur Geschichten gehört und Berichte anderer erhalten hatte. Ein Ort, den sie nie zuvor betreten hatte und sich nie vorstellen konnte, jemals zu besuchen. Doch in ihrem geistigen Auge war er klar, als kenne sie jede einzelne Ritze und jeden Krümel, jeden Haufen Asche und jeden verwitterten Felsen ... als kenne sie ihn besser als jeden anderen Ort.
Der Ort, an dem alles begonnen hatte...
Das Portal erwachte zum Leben und Kaideon schoss durch die Barriere, direkt in die schattenhafte Dunkelheit auf der anderen Seite. Ein Rausch von Magie und ein Blitz blendenden Lichts, und sie befanden sich in verfluchten Lüften. Die Luft um sie herum änderte sich augenblicklich. Die Temperatur sank um mehrere Dutzend Grad und Neveah spürte eine Bitterkeit im Hals, als wäre die Luft selbst ein lebendiges Gift.
Und genau das war sie. Alles an diesem Ort, alles, wofür er stand, bedeutete Tod und Verkommenheit.
Ihre Augen brannten, und sie brauchte einen Moment, um sich daran zu gewöhnen. Als sie es tat, lag das vertraute Bild der dunklen Lande vor ihnen. Die dunklen Lande waren lange Zeit einer Verwüstung ausgesetzt gewesen, doch das momentane Ausmaß der Zerstörung überstieg alles, was Neveah kannte. Die Erde war aufgerissen, so weit das Auge reichte, und das Miasma brodelte in einem Abgrund eines Canyons unbekannter Tiefe.
Doch das war nur wenige Meilen hinter ihnen. Zu nah, um sich wohl zu fühlen. Doch es war nichts im Vergleich zu dem, was vor ihnen lag.
"Der Schattenturm...", hallte Kaideons Stimme in ihrem Kopf, sein Tonfall war dunkler als sie ihn jemals gehört hatte.
Ihr Vater war ein Mann kontrollierter Emotionen, doch selbst er konnte diesen schrecklichen Ort nicht ertragen.
Selbst aus so weiter Entfernung spürte Neveah, wie ein Schauer des Entsetzens ihr den Rücken hinunterkroch. Es war ein kaltes, unheimliches Gefühl... es war das einzige Gefühl, das zu einem Ort wie diesem passte.
In diesem Moment machte alles Schreckliche, was jemals über diesen Ort geschrieben wurde, Sinn. Ein einsamer Turm, umgeben von Jahrhunderten des Verfalls und der Ruinen, wie ein Hohn auf alles, was jemals danach erbaut wurde. Ein Bauwerk, das unzähligen Drachenfeuern widerstanden hatte. Eine allgegenwärtige Erinnerung an eine Ära, die die Drachen lieber vergessen würden.
Ein Symbol... eine Warnung, dass die Dunkelheit nie wirklich aus dieser Welt getilgt werden würde.
Dass keine Vorherrschaft ewig bestehen könnte. Dass alles im Handumdrehen zerfallen könnte.
"Wir müssen sie finden... bevor wir das Tageslicht verlieren", dachte Kaideon düster.
Neveah nickte langsam. Das dunkle Land war tagsüber ein Grauen, doch bei Sonnenuntergang... wurde es zu einer Todeszone, besonders für Drachen.
Der Todessturm war im Canyon gefangen. Doch Schattenmenschen? Sie streiften immer noch in Horden umher.
Die dunklen Lande erstreckten sich weit über den Turm hinaus. Sie könnten überall draußen sein. Aber wo?
Neveahs Gedanken fanden bald eine Antwort, ohne dass sie dazu beitragen musste.
Ein erderschütterndes Brüllen durchbrach die Stille und entfesselte einen Windstoß, der Schmutz, Schutt und einen fauligen Gestank mit sich führte.
Kaideon flog in die Richtung des Geräuschs, und der Anblick, der sich ihnen bot, ließ Neveahs Herz zusammenschnürenJian... er war dort, aber er war nicht allein.
Er wurde von beiden Seiten angegriffen. Auf der einen Seite eine monströse Bestie, so groß wie ein Berg und mit einer Haut, die dunkler als Asche war. Ein großer Ork.
Ein weiterer Verlassener kroch aus der verdammten Grube empor.
Auf der anderen Seite war die vertraute Silhouette von Beoruh. In der trügerischen Haut eines Kindes. Er schwebte mitten in der Luft, und Strähnen der Dunkelheit schlängelten sich um seine Beine, um ihn in der Höhe zu halten.
Schatten wirbelten um seine Glieder, um seinem Ruf zu folgen, während Jian bereits mit dem großen Ork beschäftigt war.
Aber das war noch nicht alles.
Nicht weit entfernt schwebte der Drache mit den aschfahlen Schuppen. Er beobachtete den Kampf wie ein Zuschauer, ohne die Absicht, sich einzumischen.
Und er hatte etwas an sich... die Luft um ihn herum war so anders, dass Neveah für eine Minute zu lange wie angewurzelt stehen blieb.
In diesem Moment bäumte sich Verothrax auf und ließ einen Flammenschwall los.
Nicht auf die Bestie ... nein.
"Er greift an, Jian!" dachte Kaideon entsetzt.
Jian drehte sich gerade noch rechtzeitig weg und entging nur knapp den Flammen. Seine Augen huschten zwischen dem großen Ork, Beoruh und Verothrax hin und her.
Sie verweilten besonders auf Verothrax. Sichtlich zögernd, abwägend, aber wachsam.
Als Kaideon nach vorne stürmte, um ihm zu helfen, schien die Welt um Neveah langsamer zu werden.
Ein vertrautes Frösteln machte sich in ihrer Magengrube breit, als ihr Blick von Verothrax zu seiner Reiterin wanderte, zu der Frau, die stolz auf seinem Rücken saß, als würde sie die Welt beherrschen.
Aber sie gehörte nicht dorthin. Ein starkes Gefühl von Magie überkam Neveah. So deutlich, dass sie es nicht bezweifeln konnte, selbst wenn sie es versuchte.
Das Arkane pulsierte in Anerkennung der Magie, die im Gegensatz zu ihr stand und doch präsent genug war, um ihre Anerkennung auszulösen.
’Hexe...’ zischte Demevirld in Neveahs Geist.
Hexe... Hexe. Die Ethnie wurde ausgelöscht, die Bewohner von Ebonhollow mit einer Magie, die es nur bei ihrer Spezies gab.
Auf dieser Seite der Welt gab es keine Hexen mehr. Die letzte von ihnen hatte ihr Ende in jenem Herbst gefunden...
Jeder wusste das. Auch wenn niemand wagte, es auszusprechen.
Die letzte der Hexen... Misha. Die verstorbene Herrin der Onyxschuppen.
Aber wie viel von dem, was sie wussten, war noch wahr?