Die Wiedergeburt von Omega
Chapter 845: Was sonst noch? (Kap. 846)
CHAPTER 845: WAS SONST NOCH? (KAP. 846)
Neveah wachte auf, als eine Hand über ihr Haar strich. Die Bewegung wiederholte sich, jede Berührung war zart und leicht wie eine Feder, strahlte Wärme aus, und was noch?
Was konnte sie noch für diesen Mann empfinden? Was hatte sie einst für ihn empfunden? Warum konnte sie sich an nichts davon erinnern?
Einen Moment lang lag sie still und atmete langsam und gleichmäßig. Und sie wartete... auf etwas anderes, etwas mehr.
Wenn er sich so aufmerksam um sie kümmerte, suchte sie nach der Vertrautheit, die sich in den Lücken verbarg. Verzweifelt.
Ihr Herz erkannte diesen Mann nicht. Das würde es auch nicht. Aber da war etwas... etwas, das sie nicht genau benennen konnte.
Er hatte es ein Band der Verbundenheit genannt. Er hatte gesagt, dieser Drang, ihm nahe zu sein, sei der Wille des Schicksals, auch wenn es sich nicht vertraut anfühlte. Sie war sich nicht sicher, was sie glauben sollte.
Aber sie war sich sicher, dass er ihr nicht fremd war, und deshalb war sie noch verwirrter.
Ein kalter Schauer lief ihr den Rücken hinunter, dieser vertraute Knoten des Unbehagens in ihrer Magengrube, und sie unterdrückte ihn.
Diese Gefühle, sie waren nicht richtig. Nichts war richtig.
"Du bist wach." sagte er und zeichnete ein unsichtbares Muster auf ihrem Gesicht nach.
Natürlich wusste er das. Er konnte ihren Herzschlag so deutlich hören wie sie selbst.
Seine Hand fiel weg, als Neveah sich auf dem Bett aufsetzte und sich die schmerzende Schläfe massierte. "Wie lange war ich weg?"
"Einen Tag." Erwiderte er. Er sah sie mit diesen grünen Augen an, Augen, die zu viel hinter ihrem Schleier der Zärtlichkeit verbargen.
Was war die Wahrheit? Was waren Lügen? Und warum hatte sie überhaupt an allem gezweifelt?
"Du bist die ganze Zeit geblieben?" Ihr Blick begegnete dem seinen, und er nickte langsam.
Es hätte sie beruhigen sollen, aber stattdessen wunderte sie sich: Er war König, doch sein Schloss war fast leer und er tat nichts anderes, als an ihrer Seite zu wachen.
Hielt er sie in Sicherheit? Oder von etwas fernhalten?
"Du bist hier. Wo sollte ich sonst sein?" Seine Hand strich über ihre Wange, seine Finger kitzelten die Rundung ihres Kinns. "Du weißt nicht... wie lange ich auf dich gewartet habe. Wie sehr ich mich nach dir gesehnt habe..."
Seine Stimme war dick und heiser. Seine Augen leuchteten mit einem lange unterdrückten Bedürfnis und wanderten hinunter zu ihren Lippen.
Das Unbehagen wurde stärker, wilder. Es überwältigte ihre Sinne, und sie lehnte sich unbewusst zurück, fing sich aber mitten im Rückzug wieder.
Es entging ihm nicht. Er stieß einen zittrigen Atem aus. Seine Hand schlängelte sich um Neveahs Taille und zog sie quer über das Bett, so dass sie nur noch ein paar Zentimeter voneinander entfernt waren.
Das nagende Unbehagen wurde stärker. Aber sie unterdrückte ihn. Sie musste es wissen ... sie musste es verstehen.
Denn nur wenn er so war, nur wenn er von seinem Verlangen nach ihr benebelt war, ließ er die Maske der Gelassenheit fallen.
In solchen Momenten bekam sie die eine oder andere Andeutung, die nicht so recht passen wollte.
Aber sie hatte nicht annähernd genug Teile dieses Puzzles, um das ganze Bild zu begreifen.
"Du bist die schönste Frau, die ich je gekannt habe..." Sein Atem stockte, seine Augen glühten und er atmete schwerfällig aus. "Niemand ... nicht ein einziger hat sich damit verglichen ..."
Als er ihre Lippen beanspruchte, gab sie nach. Sein Kuss war dringlich... fast verzweifelt. Er schmeckte nach Minze und Wein. Er roch nach Erde, Regen und Blut.
Aber er fühlte sich ... falsch an. Wie etwas Verbotenes. Etwas Unerträgliches.
Er zog sie näher zu sich heran, zog sie in seinen Schoß. Seine Hand legte sich um ihre Kehle, seine Zunge streichelte ihre. Sie spürte ihn ... ihn ganz und gar, und doch ... nichts.
Frustration brannte in ihren Adern. Seine Krallen streiften ihre Haut, und Neveahs Herz sank in die Magengrube, ein starker Schrecken, wie sie ihn noch nie zuvor gespürt hatte, kroch ihr den Rücken hinunter.
Erschrocken wich sie zurück. "Ich kann nicht. Es tut mir leid."
Er verkrampfte sich. Sichtlich.
Sie wartete nicht auf seine Antwort. Er verließ den Raum.
_____
Das Trainingsgelände war um diese Zeit menschenleer. Neveah war sich nicht sicher, wie lange sie schon hier draußen war. Sie hatte beobachtet, wie der Mond von einer Sichel zu einem Vollmond wurde und wie aus ein paar Dutzend Sternen viel mehr wurden, als sie zählen konnte.
Zweimal schon hatte sie gespürt, dass Alessio ihr auflauerte und sie aus der schattigen Dunkelheit des Ganges beobachtete, aber mehr tat er nicht. Er zog sich zurück, als er sich vergewissert hatte, dass sie nicht weiter gegangen war.
Verärgerung kribbelte in ihr, und ein unverschämter Gedanke... "Sie könnte gehen, wenn sie wollte. Es war dreist von ihm zu glauben, er könne sie einsperren.’
Aber weggehen ... wohin?
In der Zeit, die sie hier draußen verbracht hatte, hatte sie tausendmal darüber nachgedacht. Aber sie konnte es immer noch nicht begreifen.
Dieser Schrecken ... er war zu roh gewesen. Zu heftig, um nur ein Hirngespinst zu sein.
Alessio hatte nichts getan, um ihr Angst zu machen. Im Gegenteil, er war fast zu perfekt gewesen. Zu aufmerksam, fast schon obsessiv.
Und doch...
Sie wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ein seltsames Licht im Wald jenseits des Palastes aufblitzte.
Neveah blinzelte und beugte sich vor. Der Wald war ruhig und still. So wie er immer war.
Aber sie war sich sicher, dass sie etwas gesehen hatte, das sich bewegte. War es nur ein Trick des Mondlichts?
Stirnrunzelnd warf sie einen Blick über ihre Schulter auf den Gang. Er war weg... für den Moment. Aber er würde bald zurück sein.
Der Wald war ein Stück entfernt, und wenn sie gehen wollte, musste sie zum Palasttor gehen.
Es sei denn...
Neveah studierte die Entfernung von der Terrasse, auf der sie stand. Sie war hoch. Hoch genug, dass ein Sturz gefährlich sein konnte, aber sie war nicht misstrauisch.
Sie hatte den ganzen Monat über gewusst, dass sie den Sprung schaffen konnte, wenn sie es wollte. Es war nur eine innere Gewissheit, die sie noch nicht auf die Probe gestellt hatte, um Alessios Gefühle zu schonen.
Neveah zog sich langsam von der Kante zurück, dann sprang sie hinüber. Lautlos landete sie weit unten auf dem Boden.
Mit leicht gerunzelten Brauen starrte sie auf die Terrasse und dann in den Wald.
Die patrouillierenden Wachen würden jeden Moment vorbeikommen. Sie hatte ihre Muster lange genug studiert, um das zu wissen. Sie brauchte nur einen Moment, um sich zu entscheiden, und als sie sich auf den Weg in den Wald machte, blickte sie nicht zurück.