Incubus Leben in einer Welt von Superkraft-Nutzern
Chapter 278: Sie gaben ihnen einen Zweck
CHAPTER 278: SIE GABEN IHNEN EINEN ZWECK
Lilith nickte einmal. "Und er öffnete es."
"Aber es war nicht sein Plan," fügte Isabella hinzu, mit leiser, aber sicherer Stimme. "Er hatte nicht die Vision."
"Nein," sagte Elowen. "Er wurde benutzt."
Sie ließ das im Raum stehen. Nicht für einen dramatischen Effekt, sondern weil der nächste Satz Raum brauchte.
"Und das Schlimmste?"
Ihr Blick schweifte durch den Raum – nicht anklagend, nicht unsicher, einfach klar. Solide.
"Sie benutzten die Geschichte seiner Mutter, um es zu tun. Verdrehten das eine, was diese Familie zusammenhielt. Die eine reine Tat. Das eine Stück Würde. Verwandelten es in Treibstoff."
Niemand widersprach.
Denn es gab nichts, dem man widersprechen konnte.
Liliana sprach nicht. Aber ihr Gesicht spannte sich an. Ihre Hände blieben gefaltet, aber ein Daumen drückte härter in ihre Handfläche.
Und Elowen erhob sich – nicht in Wut oder Dringlichkeit, sondern mit der Ruhe von jemandem, der gesagt hatte, was gesagt werden musste.
"Sie waren nie dazu bestimmt aufzusteigen," sagte sie mit fester, aber ruhiger Stimme. "Aber die Kulte kümmerten sich nicht um ihren Platz. Sie kümmerten sich nicht um Vermächtnis. Oder Macht. Oder Blutlinien."
Sie blickte zu Seraphina.
"Sie kümmerten sich um Zahlen."
Und die Kobolde, über Generationen übersehen, hatten davon reichlich.
Die Stille danach wurde weder dicker noch stechend. Sie blieb einfach beständig.
Die Art von Stille, die versteht, dass gerade etwas Hässliches laut ausgesprochen wurde, und niemand will der Erste sein, der darüber hinweggeht.
Seraphina war diejenige, die sie schließlich brach.
Sie stand mit ruhiger Leichtigkeit auf und richtete dabei den Saum ihrer Bluse. Ihr Tablet blieb in ihrer Hand, die Finger bewegten sich darüber, geschmeidig und geübt.
Sie warf einen Blick auf Isabella und traf dann Liliths Augen.
"Sie wurden nicht nur benutzt," sagte sie leise. "Sie wurden strukturiert. Der Kult nutzte nicht nur ihre Bevölkerungszahl aus. Sie benutzten sie als logistisches Netz."
Lilith lehnte sich leicht nach vorne, schlug ein Bein über das andere, nicht aus Eleganz, sondern aus Konzentration. "Logistik, wie?"
"Transport," antwortete Seraphina. "Lagerung. Datendeckung. Papierspuren, die mit alten regionalen Systemen verschmolzen.
Wir suchten nach Ritualen und vergessenen Schreinen, aber wir hätten nach Frachtrouten suchen sollen."
Sie drehte den Bildschirm ihres Tablets zu Lilith. Karten füllten die Luft. Markierte Routen. Lagerhausschemata.
Zeitstempel. Bewegungsflimmern, längst aus offiziellen Archiven gelöscht, aber nicht aus ihren privaten Protokollen.
"Einer der Grayson-Besitze lag in einer alten Umsiedlungszone," fuhr sie fort. "Auf dem Papier war sie stadtkontrolliert. Aber jeder vor Ort war ein Kobold."
Liliana verengte ihre Augen. "Registriert?"
"Das ist der seltsame Teil," sagte Seraphina. "Ja. Vollständig. Ordnungsgemäße Titel. Alle zwei Jahre ohne Ausnahme erneuert. Nichts versteckt."
"Aber?" fragte Isabella.
"Aber," Seraphina tippte zur nächsten Seite, "es gab vier Lagerlistungen. Drei waren inaktiv, und eine war sehr aktiv.
In den Büchern hatte sie keine offiziellen Partner, keine Exporte, keine Importe, aber die Ladeprotokolle zeigten Bewegung."
Isabella trat vor, die Arme locker an den Seiten. "Das ist die, die ich zurückverfolgt habe."
Seraphina nickte und reichte das Tablet weiter. Isabella blätterte mit einer Hand durch, ihr Gesichtsausdruck unlesbar.
"Manifestprotokolle zeigten Namen," sagte sie. "Menschliche Namen. Keine Aliasse. Keine generischen Bestandskennungen. Tatsächliche Identitäten. Erwachsene. Einige Teenager. Zwei Kinder."
Liliths Hand umklammerte die Armlehne fester, ihr Gesichtsausdruck blieb neutral – aber ihre Finger logen nicht.
Seraphina hielt ihre Stimme klinisch. "Sie waren Versuchspersonen. Beschafft von außerhalb der Hauptstädte. Meist aus Randstädten.
Kleine Siedlungen ohne Leuchtturmabdeckung oder Systempings. Orte, die die Assoziation kaum anerkennt. Orte, an denen niemand nachprüft, wenn jemand verschwindet."
"Sie versorgten den Kult," sagte Elowen. Ihre Stimme war jetzt leiser, aber schärfer. "Und dies war keine einmalige Aktion."
"Nein," bestätigte Seraphina. "Es wuchs. Zuerst boten sie Lagerraum an. Dann geringfügigen Zugang. Dann eine Halle für Rituale. Einen Flügel zum Testen."
Isabella tippte auf ein neues Bild auf dem Tablet – diesmal ein Bauplan. Es war ein einfaches, bescheidenes Gebäude – nicht unterirdisch, nicht stark befestigt.
"Das waren keine Verliese," sagte sie. "Es waren Wohnquartiere. Umgebaute Räume. Kellerräume in Grayson-Häusern. Sie versteckten es nicht unter einem Stein. Sie versteckten es hinter Gastfreundschaft."
"Und die anderen Kobold-Zweige?" fragte Lilith, ihr Ton jetzt knapp.
"Es gab andere," antwortete Seraphina. "Aber keiner eskalierte wie dieser. Die Graysons waren die einzigen, die Blut anboten."
Elowen hob ihren Kopf. "Warum?"
Seraphina sah sie direkt an. "Weil sie ihre Kinder anboten."
Eine Pause. Dann noch eine.
Diesmal versuchte niemand, die Stille zu brechen. Sie verlangte keine Antwort. Sie existierte einfach.
"Sie waren die ersten," sagte Isabella mit leiser Stimme. "Die ihre eigenen opferten. Nicht Außenstehende. Ihr eigenes Blut.
Mischlinge. Ungehorsame Töchter. Söhne mit zu viel Gefühl. Jeder, der auch nur leicht ’unrein’ war."
Lilianas Kiefer spannte sich an. "Und die Mutter?"
"Eingesperrt," sagte Seraphina. "Sie versuchte, sie aufzuhalten. Sie wandte sich an einen alten Kontakt. Sie fanden es heraus.
Sie wurde geschlagen. Ihr Flügel wurde versiegelt. Sie erzählten dem Haus, sie sei wahnsinnig geworden. Dass sie Ruhe bräuchte."
"Aber das war sie nicht," sagte Lilith leise.
"Nein," bestätigte Isabella. "Sie versuchte es. Ein letztes Mal."
Liliths Finger tippten jetzt sanft, ein langsamer Rhythmus gegen das geschnitzte Holz ihres Stuhls. "Und Lucas?"
Seraphina nahm einen leisen Atemzug. "Er fand es heraus."
Diese drei Worte veränderten den Raum.
"Er konfrontierte seinen Vater. Kämpfte mit ihm. Laut. Öffentlich. Weckte das Haus. Die Wachen griffen nicht ein. Einige hatten Angst.
Einige stimmten zu. Er gelangte zu den privaten Tresoren. Versuchte, die Aufzeichnungen zu zerstören. Dann verschwand er."
"Wohin ging er?" fragte Elowen.
"Wir sind nicht sicher," sagte Seraphina. "Aber Zeitlinien deuten darauf hin, dass er den äußeren Ring erreichte. Nahe dem Zeitpunkt, als er Ethan traf."
Isabella fügte hinzu: "Grayson reichte keine Berichte ein. Forderte keine Verfolgung an. Keine Blutleuchtfeuer-Aktivierung."
"Er erwartete, dass der Kult es bereinigen würde," murmelte Lilith.
Seraphina nickte leicht. "Er dachte, Lucas sei nicht mehr nützlich."
Lilianas Stimme senkte sich. "Also überließ er seinen eigenen Sohn der Auslöschung."
Niemand widersprach.
Lilith erhob sich jetzt von ihrem Sitz. Ihre Bewegungen waren geschmeidig, nicht abrupt. Ihr Gesichtsausdruck verzog sich nicht. Sie stand einfach groß, gerade und ruhig da.
"Die Kobolde stiegen nicht durch Eroberung auf," sagte sie.
Ihre Stimme trug keine Wut. Sie brauchte es nicht. Wahrheit musste nicht schreien.
"Sie stiegen durch Zahlen auf."
Sie hielt inne, ihr Blick wanderte zum sanft flackernden Mittellicht im Raum.
"Und der Kult gab ihnen etwas Schlimmeres als Hunger."
Niemand unterbrach.
"Sie gaben ihnen einen Zweck."
Die Stille danach war nicht zart. Sie war schwer auf eine Weise, die nicht schrie. Sie... blieb einfach.