Incubus Leben in einer Welt von Superkraft-Nutzern
Chapter 285: Sollten wir eingreifen?
CHAPTER 285: SOLLTEN WIR EINGREIFEN?
Sie sagte nichts.
Sie musste es nicht.
Die Luft hinter ihr blieb ruhig—so still, dass es absichtlich wirkte, als würde selbst der Raum den Atem anhalten—bis die leiseste Bewegung über den Boden flüsterte, die Art, die nur eines bedeuten konnte: eine weitere Präsenz war eingetroffen.
Es gab keinen Alarm, keine Anspannung, nur das ruhige Gewicht eines Crescent-Agenten, der nach vorne trat, ihre Bewegungen perfekt abgestimmt auf das subtile Summen der Überwachungssysteme, die immer noch die schweigende Gestalt unten verfolgten.
"Ziel bestätigt," sagte sie, ihre Stimme so neutral wie ihr Gesichtsausdruck. "Phase eins abgeschlossen."
Velmora antwortete nicht sofort.
Als sie dies hörte, nickte sie nicht, schaute nicht hinüber, blinzelte nicht einmal.
Ihre Arme blieben entspannt an ihren Seiten, und ihre große Gestalt hielt eine Reglosigkeit, die nur als gemeißelt beschrieben werden konnte—als hätte sie sich seit Stunden nicht bewegt, als hätte sie es nicht nötig gehabt.
Die einzigen Lebenszeichen kamen von ihren Augen, kalt und unnachgiebig, während sie der geisterhaften Spur folgten, die Blasser Spiegel hinterließ.
Jede Veränderung in ihrem Schritt, jede Pause neben einer leeren Wand oder jedes Zögern, bevor sie in eine Seitenstraße einbog—all das wurde in Fragmenten auf dem breiten Überwachungsbildschirm übertragen und floss still in das analytische Gitter ein, das nicht nur Bewegung, sondern auch Absicht verfolgte.
Velmora sprach endlich, ihre Stimme leise, ungehetzt, an niemanden Bestimmtes gerichtet—nicht an den Agenten neben ihr, nicht an den Bildschirm vor ihr, sondern an die Stille, die den Raum selbst umhüllte, als wolle sie, dass die Luft selbst verstand.
"Sie glaubt, sie sei allein," murmelte sie. "Aber etwas beobachtet bereits ihren Rücken... und sie bemerkt nicht einmal, wie nah es ist."
Die Antwort des Agenten kam in einem klaren, gleichmäßigen Ton. "Sollten wir eingreifen?"
Velmora bewegte sich nicht.
"Noch nicht."
"Verfolgen?"
"Lass sie weiter glauben, dass sie voraus ist. Sie läuft bereits im Netz—wir müssen sie nicht anstoßen."
Zurück auf der Straße trat Blasser Spiegel aus dem Gebäude, als hätte sich nichts verändert. Ihre Schritte blieben leise, kalkuliert, ausgewogen zwischen Anmut und Zweckmäßigkeit, aber das Gewicht der Stille der Stadt hatte sich verändert.
Die Umgebungsgeräusche waren nicht verschwunden, aber jetzt wirkten sie kuratiert—absichtlich. Die Art von Stille, die nicht Abwesenheit suggerierte, sondern Aufmerksamkeit.
Sie schaute sich nicht um. Zappelte nicht. Ihr Gang blieb gleichmäßig.
Aber da war jetzt etwas anderes—ein schwacher Rhythmus unter ihrer Haut, subtil aber unverkennbar, der durch den silberdurchwirkten Stoff hallte, der sich um ihren Körper schmiegte.
Es war keine Angst. Es war kein Adrenalin. Es war etwas Älteres, Instinktiveres.
Ein Puls des Bewusstseins, der in dem Moment erwachte, als ihre Augen diesen Namen tief in den Archivprotokollen fanden.
Nocturne.
Sie hatte erwartet, alte Verbindungen zu finden, vielleicht Spuren eines vergessenen Syndikats oder einer verborgenen Blutlinie, aber was sie entdeckte, war nicht nur selten—es war in eine Art Schweigen gehüllt, das absichtlich wirkte.
Nicht die beiläufige Abwesenheit von Informationen, sondern die Art, die von akribischer Auslöschung kommt, Schicht um Schicht entfernt, bis nur noch der Umriss von etwas Gefährlichem übrig blieb.
Es ist nicht versteckt, um es vor Feinden zu schützen, sondern versteckt, damit nur die richtige Art von Bedrohung darüber stolpern und weitergehen kann.
Und jetzt verstand sie.
Dies war nicht nur eine Spur, der sie gefolgt war.
Es war eine Tür, die jemand angelehnt hatte, nicht aus Versehen, sondern als stille Herausforderung.
Und sie war hindurchgetreten.
Sie überquerte eine flackernde Straßenlaterne ohne ihren Schritt zu unterbrechen, den Blick nach vorne gerichtet—aber sie übersah nicht das Zucken des Schattens direkt über der Glühbirne, das Stottern des Lichts, das nicht natürlich war.
Für die meisten hätte es wie ein Stromausfall ausgesehen.
Für sie war es ein Signal.
Ein Puls der Anerkennung. Ein stilles Tippen auf die Schulter, das sagte: Wir sehen dich auch.
Sie ging vorbei, ohne zu reagieren. Die nächste Schaufensterfront spiegelte sie perfekt wider—glatte Maske, silbern umrandetes Kleid, das Leuchten in ihren Fäden jetzt scharf genug, um von nahegelegenen Sensoren registriert zu werden, wenn jemand wüsste, wonach er suchen sollte.
Die Stadt, so wurde ihr klar, war nicht nur in ihrer Architektur geschichtet.
Sie war geschichtet in Bewusstsein.
Und jemand hatte sie absichtlich eingeweiht.
Sie bog in ein wiederaufgebautes Viertel ein—symmetrisch, poliert, eindeutig überdesignt nach irgendeiner vergangenen Katastrophe—und entdeckte eine Struktur, die nicht dazugehörte.
Älter. Gedrungener. Keine Markierungen. Nicht Teil des Wiederaufbaus.
Sie blieb davor stehen.
Betrat es nicht sofort.
Sie wartete.
Und als die Luft nicht zurückdrängte, bewegte sie sich.
Keine Schlösser. Keine Sensoren. Nur eine bereits halb zerbrochene Tür und ein Flur, so trocken, dass er vorversiegelt wirkte. Die Lichter funktionierten nicht. Die Möbel passten nicht zusammen. Aber das Gebäude war nicht tot.
Es war ruhend.
Konserviert. Es war, als würde es darauf warten, benutzt zu werden—aber nur von jemandem, der wusste, was nicht zu berühren war.
Sie testete eine Wand, spürte die statische Verschiebung durch ihre Fingerspitzen und ignorierte den Köder-Tresor, der unter ihrem Scan aufleuchtete. Das war ein Köder.
Sie schaute stattdessen nach oben, mehr durch die Decke als auf sie, und das Lächeln unter ihrer Maske war kein Stolz—es war Bestätigung.
Dieses Gebäude war für sie eingerichtet worden.
Velmora, Kilometer darüber, zuckte nicht zusammen.
"Sie setzt es zusammen," bemerkte der Agent.
Velmora sprach, ohne den Kopf zu drehen. "Gut. So bewegt sie sich. Je mehr sie denkt, es sei ihre Idee, desto tiefer wird sie gehen."
"Sie ist fast an der zweiten Schicht."
"Lass sie. Was zählt, ist die dritte."
Eine Pause.
"Und wenn sie sie erreicht?"
"Das wird sie nicht."
Velmora sagte es nicht als Warnung. Sie sagte es, als hätte sie es bereits in einem früheren Zeitstrang geschehen sehen und wartete einfach darauf, dass die Gegenwart aufholte.
Minuten später tauchte Blasser Spiegel wieder auf, ihr Tempo das gleiche—aber ihre Absicht nicht. Sie beobachtete nicht mehr nur. Ihr Weg war jetzt enger, zielgerichteter. Sie jagte.
Aber was sie nicht erkannte, war—das taten sie auch.
Sie nahm einen langen, spiralförmigen Weg nach Osten und blieb knapp außerhalb der Sensor-Hotspots, nicht weil sie fürchtete, verfolgt zu werden, sondern weil sie das Muster testete.
Die Crescent musste natürlich nicht folgen.
Sie mussten nur vorausahnen.
Am Rand der Eindämmungszone hielt sie an. Eine halb verfallene Werbetafel warf einen langen Schatten—aber die Spiegelung im Glasrahmen darunter war nicht ihre.
Sie sah ein Schimmern.
Ein Flackern von Präsenz.
Nicht in ihrer Nähe. Nicht hinter ihr.
In der Spiegelung.
Als würde jemand hinter einer anderen Glasscheibe beobachten.